
Ökonomen sehen Koalitionsvertrag eher positiv - Ruf nach Subventionsabbau

Führende Ökonomen bewerten den Koalitionsvertrag von Union und SPD grundsätzlich positiv. Der Vertrag sehe eine Reihe von Maßnahmen vor, die das Potenzialwachstum der deutschen Wirtschaft erhöhen könnten, sagte Torsten Schmidt, Konjunkturchef des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen (RWI) am Donnerstag. Die von den fünf führenden Wirtschaftsinstituten des Landes erarbeitete Gemeinschaftsdiagnose geht deshalb im kommenden Jahr von einem zusätzlichen Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 0,5 Prozentpunkten aus.
Im Detail betonten die Forschenden bei der Vorstellung ihres Gutachtens jedoch auch eine Reihe von Kritikpunkten. Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft etwa warf den Koalitionären vor, mit ihren vorgesehenen Maßnahmen zur Senkung der Energiepreise "auf Zeit" zu spielen. "Ein Industriestrompreis ist ja nichts anderes als eine Subvention", welche nur die grundsätzlichen Probleme der Energiepolitik kaschiere.
Ähnlich äußerte sich Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). "Die Gesamtmenge an zur Verfügung stehender Energie wird in den kommenden Jahren knapp sein", betonte er. Subventionierung für einige werde also den Strom für andere Verbraucher teurer machen.
Positiv hob er hervor, dass der Koalitionsvertrag mit seiner Betonung der Bedeutung etwa der CO2-Bepreisung ein "Bekenntnis zu marktwirtschaftlichen Instrumenten" liefere, was "sehr positiv zu bewerten ist".
Mögliche Probleme sehen die Wirtschaftsexperten zudem etwa in der fehlenden Finanzierung sowie einem fehlenden Gesamtkonzept auch für die Verwendung der zusätzlichen Mitteln aus Schulden. "Die Gefahr ist groß, dass hier Mittel verpuffen", sagte RWI-Forscher Schmidt. Etwa mit Blick auf die Bauindustrie bestehe das Risiko, dass bei einem unkoordinierten Anstieg öffentlicher Aufträge vor allem die Preise steigen.
Auf die ungeklärte Finanzierung vieler Vorhaben im Koalitionsvertrag verwies auch Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
Maßnahmen wie die Senkung der Einkommenssteuer für kleine und mittlere Einkommen, die steuerfinanzierte Stabilisierung des Rentenniveaus, die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie oder die Mütterrente vergrößern "die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben", erklärte Dullien. Mit ebenfalls angekündigten Einsparungen ließen sich die Maßnahmen jedenfalls nicht finanzieren.
"Die Große Koalition will anpacken - mit dem Ziel, die schwächelnde Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen", erklärte das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Die arbeitgebernahen IW-Forscher kritisierten jedoch eine fehlende "klare Priorisierung auf der Ausgabenseite". Anstatt Sparpotenziale zu nennen, seien neue Ausgabenposten wie die Mütterrente oder die Wiedereinführung der Dieselsubvention für Landwirte hinzu gekommen.
IMK-Forscher Dullien betonte jedoch, dass vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Handelskonflikts mit den USA das Vorgehen der Koalitionäre "möglicherweise" von Vorteil sei. Im Fall einer Rezession sei es "wichtiger, eine handlungsfähige Regierung zu haben, die möglicherweise erneut die Schuldenbremse aussetzt und kurzfristig konkrete Stützungsmaßnahmen für die deutsche Wirtschaft beschließt, als einen durchgerechneten Koalitionsvertrag".
S.Morel--PS