
Zentralrat: Koalitionsvertrag blendet muslimisches Leben aus

Der Zentralrat der Muslime hat beklagt, dass der von Union und SPD ausgehandelte Koalitionsvertrag muslimisches Leben in Deutschland "ausblendet". Ein "zentraler Teil der Gesellschaft" bleibe dort unerwähnt, nämlich Musliminnen und Muslime, erklärte der Verband am Donnerstag. "Besonders gravierend ist das vollständige Fehlen einer expliziten Benennung von antimuslimischem Rassismus."
Der Begriff Islam tauche stattdessen ausschließlich im Zusammenhang mit Islamismusbekämpfung und Sicherheitsbedrohung auf, fuhr der Zentralrat fort. Das sei eine einseitige Darstellung und ein verzerrtes Bild – "und setzt ein falsches politisches Signal". Muslimische Menschen seien nicht nur ein Teil der Gesellschaft, sondern auch politisch aktive Wählerinnen und Wähler.
Beim Thema Migration überwiege im Koalitionsvertrag allerdings ein "restriktiver, ausschließender Ton", fuhr der Zentralrat der Muslime fort. "Rückführungen, Sanktionen und Zugangsbeschränkungen stehen im Vordergrund, während Teilhabe, soziale Öffnung und gerechte Chancen kaum Erwähnung finden." Die Koalitionsparteien verlören aus dem Blick, "dass Deutschland längst ein Einwanderungsland ist".
Ähnlich kritisch äußerte sich die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) und sieht generell Menschen mit Migrationshintergrund im Koalitionsvertrag nicht ausreichend berücksichtigt. Zwar stehe in dem Vertrag, dass Deutschland ein "einwanderungsfreundliches Land bleiben" wolle - Menschen mit Einwanderungsgeschichte kämen aber "als Subjekte mit eigenen Interessen nicht vor", erklärte TGD-Chef Gökay Sofuoglu.
Das liege daran, dass unter den 19 Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitikern, die den Vertrag verhandelt hätten, "leider kein einziger" gewesen sei, der aus persönlicher Erfahrung wisse, worauf es beim Thema Einwanderungsfreundlichkeit ankomme. Um Menschen mit Migrationsgeschichte gehe es im Koalitionsvertrag nur im Zusammenhang mit der Gewinnung von Soldaten, und der Islam komme "ausschließlich in negativen Kontexten vor", fuhr Sofuoglu fort. "Das grenzt an Realitätsverweigerung."
Ihm fehle außerdem ein sicherheitspolitisches Konzept gegen Rechtsextremismus, "das uns allen das Gefühl vermittelt, wir können in Deutschland eine sichere Zukunft planen", erklärte der Vorsitzende der TGD weiter. Er lobte zudem das Bekenntnis zum Schutz jüdischer Menschen in Deutschland. "Angesichts der explodierenden Zahlen im Bereich der rassistischen Übergriffe hätte ich mir gewünscht, dass auch Schwarze Menschen, Muslime und Sinti und Roma eine vergleichbare Berücksichtigung im Text erfahren."
In Deutschland haben rund 24,9 Millionen Menschen einen Migrationshintergrund. Damit haben knapp 30 Prozent der Bevölkerung eine eigene oder eine über mindestens einen Elternteil mitgebrachte Zuwanderungsgeschichte.
Der Verband forderte daher, dass das künftige Kabinett das auch abbildet. "Der Anspruch wäre: 30 Prozent Menschen mit Migrationsgeschichte", forderte die TGD.
Ähnlich äußerte sich die Bundeskonferenz der Migrant*innenorganisationen (BKMO). Einer von vier Kabinettsposten müsse von einem Minister oder einer Ministerin mit Migrationsgeschichte besetzt werden. "Politik darf nicht über unsere Köpfe hinweg geschehen", mahnte der BKMO-Vorsitzende Mamad Mohamad.
E.Roger--PS